18. Workshop des Netzwerks Biographieforschung: Biography in Practice

30. April 2021, ONLINE

9.30 bis 13.00h

Institut für Bildungswissenschaft/digital

Bei „Biographie“ handelt es sich nicht nur um ein interdisziplinäres Konzept, das in wissenschaftlicher Absicht zur (Re-)Konstruktion und Analyse von Lebensgeschichten herangezogen wird, „Biographie“ wird auch in alltäglichen Praxen als „kulturelles Schema“ der (verzeitlichten) Identitätsdarstellung hervorgebracht. Angesprochen sind damit die vielfältigen Alltagssituationen, in denen die Biographien „infamer Menschen“ (Foucault) im Alltagshandeln „hergestellt“ und nutzbar gemacht werden:
Diese reichen von Praxen des Life Writing (in Form von Memoiren, Tagebüchern und Briefen) über alltagsweltliche Erzählarrangements bis hin zu professioneller Arbeit mit biographischem Wissen und biographischen „Formaten“, insbesondere in den Feldern Bildung, Beratung und Soziale Arbeit, auch im Gesundheitsbereich, in vielen Bereichen von Kultur und Medien. Dabei ist davon auszugehen, dass es in einer, auf eine biographische Lebensführung ausgerichteten „reflexiven Moderne“ (Beck) zu einer Ausdifferenzierung der Modi biographischer Konstruktion im Alltag kommt und dass immer wieder neue „Biographiegeneratoren“ (Hahn) zu biographischer Kommunikation bzw. zur Kommunikation von Biographischem auffordern.

Ausgehend von dieser sozial- und kulturhistorischen Diagnose wollen wir im 18. Workshop des Netzwerks Biographieforschung folgende Fragen erörtern:

  • Wie werden Biographien in verschiedenen gesellschaftlichen Handlungsfeldern hervorgebracht? Mit welchen individuellen und institutionellen „Motiven“ ist die Konstruktion von „Biographischem“ im Alltag verbunden? Wie verhält sich „Biographie“ als institutionalisiertes „Format“ zu Formen konkreter, lebensgeschichtlicher (Selbst-)Darstellung?
  • Wie hat sich „Biographie“ als alltagsweltliches Format der Identitätsdarstellung im Laufe der Zeit gewandelt? Wie werden „biographische Muster“ in der Alltagspraxis variiert und transformiert? Welche Bedeutung hat eine Hinwendung zu biographischen Alltagspraxen für unterschiedliche, in unserem Netzwerk vertretene Disziplinen und Forschungsrichtungen?
  • Welche theoretischen (kultur- und sozialwissenschaftlichen) Perspektiven erlauben es, „Biographie im Alltag“ in den Blick zu nehmen? Worin bestehen Erkenntnispotentiale im Hinblick auf „Biographie“, wenn diese als alltägliche Praxis aufgefasst wird? Inwiefern ist der Miteinbezug von „Biographie“ für unser Verständnis von Alltagswelten und Alltagshandeln aufschlussreich?
  • Welche methodologischen Konsequenzen lassen sich für den sozial- und kulturwissenschaftlichen Gegenstand „Biographie“ ziehen, wenn dieser nicht nur unter der Perspektive der Lebensgeschichte eines individuellen Subjekts, sondern immer auch als eine soziale Praxis – und konkret als interaktives Geschehen – untersucht wird? Welche methodologischen und methodischen Ansätze werden dafür genutzt und welche Fragen ergeben sich in der konkreten Umsetzung im Forschungsprozess?

Gedanken zu diesen Fragen möchten wir im Rahmen unseres Netzwerktreffens am 30. April 2021 mit Ihnen diskutieren. Willkommen sind Beiträge zu den skizzierten theoretischen und methodologischen Aspekten, gerne mit Bezug auf konkrete Forschungen und Beispiele. Um möglichst viel Raum für Diskussion zu haben, schlagen wir zwei Formate vor: Kurzstatements von ca. 5 Minuten und etwas längere Inputs von ca. 15 Minuten.


Als gemeinsamen Diskussionshintergrund und Inspirationsquelle schlagen wir folgenden Text vor:
Gubrium, Jaber F./Holstein, James A. (2017): Analyzing novelty and pattern in institutionalized life narratives. In: Goodson, Ivor (Hrsg.): The routledge international handbook on narrative and life history. London, New York: Routledge, S. 156–166.

Bettina Dausien & Amos Poster sowie das ganze Team des Arbeitsbereichs Biographie, Bildung und Gesellschaft (ehemals: Bildung und Beratung im Lebenslauf) im Februar 2021