10. Workshop des Netzwerks Biographieforschung: Digitale Praktiken - Ungeordnete Anwendungen

11. November 2016

 

11. November 2016
9h-14h
Institut für Zeitgeschichte, SE 1

 

Nach den spannenden Diskussionen zum Nachlass als „Ergebnis von Strategien, Konventionen, Routinen und Zufällen“ bei dem von Birgit Kirchmayr, Klara Löffler und Irene Messinger ausgerichteten Workshop am Institut für Europäische Ethnologie, möchten wir am 11. November 2016 zum 10. Workshop des Netzwerks Biographieforschung am Institut für Zeitgeschichte einladen.

Wir alle arbeiten inzwischen mit digitalen Recherche- und Aufschreibetechniken, mit verschiedenen Aufbewahrungs- und Kommunikationstechnologien an unseren biographischen Themen. In unseren digitalen Praktiken folgen wir dabei zumeist keiner Systematik und können uns zumeist nicht an von unseren fachlichen Hintergründen vorgegebenen Anleitungen (wie es sie etwa im Zusammenhang mit der Erstellung einer Bibliographie etc. gibt) orientieren. Häufig entwickeln sich unsere digitalen Strategien intuitiv, geleitet von Nutzen und Angebot - sie werden selten offengelegt und/oder reflektiert.

Vor dem Hintergrund unserer sicherlich sehr diversen, ungeordneten Anwendungen möchten wir auf Basis der Überlegungen von Paul Arthur - Professor für Digital Humanities und selbst Biographieforscher - Praktiken im Zusammenhang mit digitalen biographischen Quellen reflektieren. Arthur wies in “Material Memory and the Digital” u.a. darauf hin, wie Zufälle und unerwartete Funde - positiv wie negativ - systematisches Vorgehen immer wieder durchkreuzen: “Because memories no longer come packaged in discrete parcels - as letters, photo albums, or postage parcels, for example - they are not entered as defined spaces to be explored but rather brushed against in chance encounters within systems of open-ended connectivity.”

Folgende Themenkomplexe und Fragen möchten wir bei unserem nächsten Workshop gerne ansprechen und diskutieren:

 -   Das Problem der Quantität und Selektion in Zusammenhang mit digitalen Ressourcen. Stimmt es, dass wir - wie Arthur meinte - “By keeping everything we ultimately value nothing”? Wie ist mit jener Vervielfachung der Materialmengen umzugehen, die das digitale Zeitalter mit sich gebracht hat und die sich etwa darin äußert, dass es im Laufe eines ForscherInnenlebens durchaus noch möglich war, die rund 40.000 Memos, die während der Präsidentschaft von Lyndon B. Johnson im Weißen Haus zirkulierten, zu lesen, während das für die etwa 4 Millionen Memos der Clinton-Administration unmöglich ist?

 -   Wie wirkt sich ein Mangel an „imposed authority“ - eben durch einen Mangel an Auswahl, Steuerung und durch Anwendung neuer archivarische Praktiken im Netz - aus? Führt er zu einer „Demokratisierung“ oder wird hier ein neuer Kanon gebildet?

 -   In welchem Verhältnis stehen ein deutlich erkennbarer „Druck“ zur Digitalisierung und ihr Nutzen für ForscherInnen? Wie werden Analyse und Interpretation „bewertet“, wenn der Aufbau der digitalen Infrastruktur zur ressourcenintensivsten Hauptsache von Forschung wird?

 -   Wie bewusst gehen wir mit dem „Schleier von Interfaces“ um - also damit, dass hinter beeindruckenden Darstellungen von Material seine Lückenhaftigkeit wie auch die Fehleranfälligkeit der Recherche verhüllt werden?

 -   Welche Erfahrungen gibt es mit den unterschiedlichen Datenbankangeboten (oder selbst entwickelten Lösungen), welches „Biographieforschungstool“ würden wir uns eventuell wünschen, um unsere „ungeordneten Anwendungen“ zu systematisieren?

 

Johanna Gehmacher, Sarah Herbe, Katharina Prager